Frau Holle war äusserst fleissig! Unermüdlich schüttelte sie ihre Schneekissen aus und die dicke Schneeflocken fielen vom Himmel. Sie hüllten die Schweiz in ein märchenhaftes Winterkleid allerdings nicht ohne dabei im öffentlichen Verkehr für das ein oder andere Chaos zu sorgen. Insbesondere am Flughafen Zürich kamen die Schneeräumtruppen zwischenzeitlich kaum noch hinterher, die Pisten und Rollwege freizuräumen. Dank ihrer unermüdlichen Arbeit kehrte am Tag danach allmählich wieder Normalität ein. Bei Sonnenschein und frostigen Temperaturen bot sich den Zuschauern am Flughafen ein beeindruckendes Schauspiel: Die schneebedeckten Flugzeuge, die von den Enteisungsfahrzeugen bearbeitet wurden, glitzerten im Sonnenlicht. So auch dieser Airbus A220, der vor dem Abflug geduldig darauf wartet von seiner dicken Schneedecke befreit zu werden. Hast du schon einmal ein Flugzeug beim Enteisen beobachtet und weisst du, warum dieser Vorgang überhaupt notwendig ist?
Warum wird überhaupt enteist? Flight Safety First!
Seit einigen Jahren gilt in der Luftfahrt das sogenannte "clean aircraft concept". Dieses Sicherheitsbestreben stellt sicher, dass vor dem Abflug gefrorenen Ablagerungen vom Rumpf, inssondere aber von den kritischen Flugflächen entfernt werden. Hierzu zählen die Flügeloberseite, sowie das Seiten- und Höhenruder.
Die Notwendigkeit einer Enteisung wird deutlich, wenn man bedenkt, dass Eis, Frost oder Schnee auf dem Flugzeug nicht nur den Auftrieb reduzieren, sondern gleichzeitig den Luftwiderstand erhöhen und das Gesamtgewicht beeinflussen. Wird es versäumt das Flugzeug zu enteisen, könnte dies im äussersten Fall zu einen kritischen Flugzustand führen.
Sobald alle Passagiere an Bord, die Türen und Frachttore geschlossen sind, kann die Enteisung beginnen. Je nach den lokalen Vorgaben erfolgt diese entweder direkt am Standplatz oder an einer dezidierten Enteisungsstation. Nachdem das Flugzeug mittels einer Checkliste konfiguriert ist, nähern sich üblicherweise pro Flugzeugseite je ein Fahrzeug und die Bodenmannschaft beginnt sogleich mit dem Enteisungsprozedere.
Hinter dem generellen Begriff “De-Icing” verstecken sich übrigens zwei Unterbegriffe und leicht unterschiedliche Vorgehensweisen. Diese mögen auf den ersten Blick ähnlich aussehen, unterscheiden sich jedoch mit einem kleinen, aber signifikanten Unterschied. Denn je nach Wetterbedingungen unterscheiden wir, ob das Flugzeug “nur” enteist werden muss oder eine zusätzliche Schmutzschicht benötigt wird. Dieser zweite Schritt, das sogenannten “Anti-Icing”, wird nur bei vorherrschendem Niederschlag notwendig und verhindert ein erneutes Ansetzen auf den kritischen Flugflächen. Zur einfacheren Identifikation unterscheiden sie sich übrigens auch farblich: Unabhängig vom Typ der Enteisungsflüssigkeit ist der De-Icing Schritt jeweils orange und der Anti-Icing Schritt grün eingefärbt.
Zurück zu unserem Flug
Nach einer kurzen Wartezeit sind wir auf die zugewiesene Enteisungsstation gerollt, haben die Checkliste abgeschlossen und uns über Funk mit der Bodenmannschaft auf das gewünschte Vorgehen geeinigt. Die Wahl der Methode hängt dabei primär von den Wetterbedingungen ab. Da in unserem Fall noch Schnee fällt, werden beide Schritte benötigen. Im ersten Schritt wird nun die dicke Schneeschicht entfernt und danach im zweiten Schritt die Schutzschicht aufgetragen. In beiden Schritten wird dabei eine Mischung aus Wasser, Glykol und anderen Zusätzen verwendet. Sie ist ungiftig und biologisch abbaubar. Die Bodenmannschaft berechnet das optimale Mischverhältnis für den nötigen Schutz bietet und gleichzeitig kostengünstig ist. Basierend auf dem Mischverhältnis und den aktuellen Wetterbedingungen können wir im Cockpit dann die sogenannte "Hold Over Time" berechnen. Diese Zeitspanne definiert, wie lange die Schutzschicht hält und die kritischen Flugflächen vor einem erneuten Ansetzen von Eis und Schnee schützt. Sie kann in sehr kalten Temperaturen oder bei starkem Niederschlag wenige Minuten, in milderen Bedingungen aber auch rund eine Stunde betragen.
Vom Cockpit aus beobachten wir, wie die Bodenmannschaft mit äusserster Sorgfalt dafür sorgt, dass wir in Kürze sicher abheben können. Diese Dauer variiert übrigens zwischen 10 und 30 Minuten, abhängig von der Grösse des Flugzeugs, der angewandten Enteisungsmethode und den aktuellen Wetterbedingungen. Üblicherweise sind bei der Enteisung eines Flugzeugs am Flughafen Zürich mindestens fünf Mitglieder der Bodenmannschaft beteiligt. Auf der einen Seite agieren die beiden Bediener der Enteisungsfahrzeuge, die hoch oben auf dem Auslegearm ihre Fahrzeuge geschickt manövrieren und behutsam das Flugzeug enteisen. Diese werden von verschiedenen Stellen unterstützt, darunter der Enteisungs-Koordinator, der den gesamten Prozess leitet, der Pad-Koordinator (unten rechts), der per Funk mit den Piloten kommuniziert, und ein De-Icing-Pad-Koordinator (unten links), der den eigentlichen Enteisungsprozess überwacht.
Fototipp
Besonders eindrückliche Aufnahmen entstehen in der Dämmerung und nachts, wenn mit einer etwas längeren Belichtungszeit aufgenommen werden kann und so ein besonderer visueller Effekt entsteht.
“SWISS Three-Alpha-Zulu, from De-Icing”
Über Funk erhalten wir alle Angaben zum soeben abgeschlossenen Prozedere und nach einer erneuten Checkliste rollen wir zur Startbahn um wenige Augenblicke später in den Morgenhimmel über ZRH abzuheben.
Flightlapse
Geniessen Sie diese Zusammenstellung von Zeitraffersequenzen der Winter OPS am Flughafen Zürich.
Über das Bild
Das Februar-Bild in meinem aktuellen Fotokalenders "Snowed-in" zeigt einen frisch verschneiten Airbus A220 am Flughafen Zürich am Tag nach intensivem Schneefall. Dieses Bild zeigt ausdrücklich, wie stark die Fliegerei dem Wetter ausgeliefert ist und besonders das Winterwetter zahlreiche Spezialverfahren für einen sicheren Flugbetrieb erfordern.
Aufgenommen mit einer Canon EOS 5D Mark IV + Canon EF100-400 IS II USM @234mm bei ISO640, f/5.0, 1/200 Sek.
Über "Behind the Image"
In meinem Fotokalender "Up in the Sky" gewähre ich faszinierende Einblicke in meinen Alltag als Linienpilot. Diese Blogserie ergänzt den Fotokalender und erzählt die Geschichte hinter dem Moment, in dem das Bild aufgenommen wurde. Zudem bietet sie Hintergrundinformationen darüber, was sich im Cockpit ereignet hat und wie das Bild entstanden ist.
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Agnes Gehrig (Donnerstag, 08 Februar 2024 16:30)
Lieber Sales
Vielen Dank für deine wirklich informativen Erklärungen.